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Andrea Gion Saluz lebt mit seiner Familie in Zürich. In seiner Freizeit imkert er oder spielt Fussball beim FC Höngg.Foto: zvg

Zeitschriften | Verband & PolitikLesezeit 2 min.

«Gesunde Stadtbäume benötigen eine unterirdische Raumplanung»

Andrea Gion Saluz von Grün Stadt Zürich ist für gesunde Stadtbäume und einen zunehmenden Bestand verantwortlich. Eine Herausforderung zu Zeiten der Verdichtung und der Klima­erwärmung, welche den Stadtbäumen besonders zusetzt.

Interview: Sarah Sidler | Andrea Gion Saluz, wieso benötigen Städte mehr Bäume?

Aus mehreren Gründen. Einer der wichtigsten ist die Hitzeminderung. Bäume sind durch ihren Schattenwurf und die Verdunstung von Flüssigkeit effektive «Klimaanlagen». Zudem fördern sie die Biodiversität, indem sie über ihre Baumkronen Lebewesen miteinander vernetzen. Einzelnen Stadtteilen dienen sie als Identifikation, und sie sind zum Teil sogar historisch wichtig.

Mit welchen Baumarten bepflanzt Grün Stadt Zürich die immer heisser werdende Stadt?

Grundsätzlich schauen wir, dass wir eine möglichst breite Artenvielfalt pflanzen können. So sind wir gut gegenüber Krankheiten und Schädlingen abgesichert. Die Diversität umfasst einheimische, aber auch fremdländische Bäume, welche bereits an das heisser werdende Klima angepasst sind. Wenn wir die Baumstandorte verbessern, können einheimische Bäume wie Feldahorne, Weiden, Stieleichen oder Winterlinden an Extremstandorten weiterhin gedeihen. Resista-Ulmen sind ebenfalls vielversprechende Bäume. Sie sind sehr schnellwachsend, robust und langlebig. Bei fremdländischen Arten müssen wir das Invasivitätspotenzial gut abschätzen. 

 

Wie können die Standorte für einheimische Bäume denn verbessert werden?

Das Allerwichtigste ist ein genug grosser Wurzelraum. Dieser sollte möglichst wenig verdichtet sein, damit genügend Luft im Boden vorhanden ist. Dann muss der Baum an genügend Wasser kommen. Wenn diese drei Punkte gewährleistet sind, geht es vielen Bäumen in der Stadt auch in Zukunft gut. Dem gegenüber steht das verdichtete Bauen und die meist gegebene städtische Infrastruktur wie verschiedene Leitungen. Mehr Stadtbäume bedingt eine unterirdische Raumplanung. Das gehen wir jetzt an.

 

Wie fördert Grün Stadt Zürich die Zunahme des Baumbestandes ganz konkret?

Grün Stadt Zürich muss jährlich rund 350 Bäume auf öffentlichem Grund fällen. Meist aus Sicherheitsgründen. Diese Bäume werden alle ersetzt. Zudem pflanzen wir zurzeit jährlich zusätzlich bis zu 600 Bäume – das sind die Bemühungen im Rahmen der Hitzeminderung und der Förderung der Biodiversität. Weitere Massnahmen wie ein genereller Baumschutz ab einer definierten Dimension des Baums und Pflichten zur Ersatzpflanzung sind in Erarbeitung. 

 

Wie viele Bäume würden idealerweise in der Stadt Zürich stehen?

Eine Regel besagt, dass man drei Bäume aus seinem Fenster sehen sollte, jede Strasse zu 30 Prozent mit Kronen bedeckt sein sollte und dass die nächste Grünanlage maximal 300 Meter entfernt sein sollte. Wir sind leider noch relativ weit davon entfernt. Die Kronenbedeckung hat in der Stadt Zürich von 17 Prozent im Jahr 2014 auf 15,4 Prozent im Jahr 2022 abgenommen. Wir haben zwar mehr Bäume, diese sind aber jünger und verfügen daher über kleinere Kronen als ältere Bäume. Ziel der Fachplanung Stadtbäume sind 25 Prozent Kronendeckung im Siedlungsgebiet bis ins Jahr 2050. Dies ist gemäss einer Potenzialanalyse realistisch. 

Reichen die oben genannten Massnahmen, um auf diese 25 Prozent zu kommen?

Nein. Wir müssen auf Gesetzesebene etwas ändern. Neben der Pflicht für Ersatzpflanzungen müssen auch die Grenzabstände weiter hinuntergesetzt oder vom Näherpflanzrecht Gebrauch gemacht werden, was im verdichteten Bauen unheimlich wichtig ist. Bei den hohen Grenzabständen in vielen Kantonen müssen Bäume einen grossen Abstand zur Parzellengrenze haben. Nützt ein Bauherr oder eine Bauherrin die Parzelle heute voll aus, kann gar kein Baum gepflanzt werden, da er oder sie näher an die Parzellengrenze bauen kann, als der Baum Abstand haben müsste. Wir schaffen aber auch Anreize mit dem Programm Stadtgrün, womit wir Baumpflanzungen und ökologische Aufwertungen für Private subventionieren. Das ist gut angelaufen.  

Von der WSL wurde ermittelt, dass viele Krankheiten von Stadtbäumen auf Waldbäume übergeben. Was tut ihr dagegen? 

Dieser Aspekt ist neu und wurde deshalb bis anhin noch nicht gross berücksichtigt. Wir verfolgen das Prinzip, einen möglichst resilienten, das heisst diversen Baumbestand aufzubauen. Wir müssen bereits rund ungefähr 50 Aspekte berücksichtigen, und das ist nun ein weiterer, ein wichtiger, der dazu kommt. Der Wald als wichtiges Ökosystem muss geschützt werden. Für uns heisst das, dass wir unsere Beschaffung überdenken müssen. Wir müssen verstärkt aus lokalem Saatgut Stadtbäume ziehen. So können wir dieser Herausforderung begegnen. Gegenwärtig läuft ein Pilotprojekt mit dem Ziel die einheimischen Baumschulen zu stärken, dass sie wieder selbst produzieren können und die Bäume nicht einkaufen müssen. Ich leite neu die Arbeitsgruppe Stadtbäume der Vereinigung Schweizerischer Stadtgärtnereien und Gartenbauämter (VSSG). Ein strategisches Ziel muss aus meiner Sicht sein, dass die Qualitätskriterien aller grossen Schweizer Städte für Bäume und Pflanzen zusammengeführt werden. Zählt man die Aufträge aller Städte zusammen, ist das ein riesiges Auftragsvolumen. Auf ihre Wünsche muss die Wirtschaft reagieren und die Qualität und Vielfalt erhöhen.  

Wären Samenbäume eine Lösung?

Forstbaumschulen machen bezüglich Samenbäume einen guten Job. Auch wir könnten aus Samen resilienter Mutterbäume in der Stadt junge Bäume ziehen. Das müssten wir jedoch erst testen, da wir nicht wissen, wie gut ihr Erbgut ist. Wir müssen hier vermehrt mit dem Forst, der Abteilung Wald, zusammenarbeiten. An einer Intensivierung dieses Schulterschlusses arbeiten wir. 

Was kann Grün Stadt Zürich vom Forst lernen?

In unseren Pärken und grösseren Grünanlagen müssen wir uns mehr dem Waldbauprinzip widmen. Wenn wir merken, dass ein Baum kränkelt, könnten wir wie die Forstarbeitenden einen Vorersatz planen, der im Schatten des Grossbaums wächst. Die Rechtsprechung im Wald ist zudem vernünftiger. Dort ist man als Privatperson selbst verantwortlich für seine Sicherheit. In der Stadt ist das komplett umgekehrt. Wir müssen jeden einzelnen Baum mindestens alle drei Jahre kontrollieren. Wenn ein Baum gefährlich werden könnte, sogar jedes halbe Jahr. Und das bei 72 000 Bäumen in der Stadt Zürich. Wir müssen aus sicherheitstechnischen Gründen Bäume fällen, welche noch 30 bis 50 Jahre stehen könnten. Das führt zu Fällungen aus rein versicherungstechnischen Gründen, weil Grün Stadt Zürich als Baumbesitzerin sonst haftbar gemacht werden könnte. Oft ist Pilzbefall das Problem. 

Was kann der Forst von euch lernen?

Viel, was den Nutzungsdruck angeht. Der Wald ist je länger desto mehr ein Naherholungsgebiet. Betreffend Umgang mit Bäumen bei erhöhter Nutzung könnten sie von uns etwa abschauen, was Schnitt-, Sicherheits- und Diversitätsthemen anbelangt. Die Disziplinen verschmelzen ineinander, der Überbegriff dafür lautet Urban Forestry. Damit will man waldähnliche Strukturen in die Stadt bringen – was sein muss. Diese Disziplin steckt in der Schweiz noch in den Kinderschuhen, wird jedoch viel zum Schulterschluss beitragen. Der Verein ArboCityNet (ACN) hat sich dieser Thematik für die Schweiz angenommen. ′ 

Über diese und viele weitere Themen lesen Sie in der neuen Ausgabe von «WALD und HOLZ».

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